Imperien
Ein Interview in der Taz mit dem Politologen Herfried Münkler (Berliner Humboldt Universität), hat mir - stark erledigt durch die schwüle Nachthitze - noch kurz vor Einschlaf ein paar erhellende Momente bereitet. Bisher kam ich nicht recht mit dem Widerstreit meiner linkspolitischen Sozialisation zurecht, und der gleichzeitig nationalen Kehrtwende der Linken in vielen Teilen Europas zurecht. Was hat das Nationale mit der Linken zu tun? Stehen diese sich nicht feindlich gegenüber? Als nichtstudierter Hobby-Politinteressierter ist diese Frage tatsächlich noch weitestgehend ungeklärt, herbeigelesenes und -gesehenes Halbwissen führt in vielen Wählerköpfen zu fragwürdigen Kreuzen auf dem Wahlzettel. Man fängt an, sich selbst nicht mehr so ganz zu trauen. Fällt auf das Optische des Politdramas und -theaters hinein, so wie es der Wählerschaft präsentiert wird, und vergißt evtl. größere Zusammenhänge, die in einem historisch-soziologischen Kontext stehen könnten.
Also wieder zurück auf Anfang: Das Interview mit dem Politologen Münkler hat mir hier ein paar Aha-Momente geliefert. Ich zitiere einmal ein paar - für mich wesentliche - Passagen:
taz: Herr Münkler, in Ihrem neuen Buch singen Sie ein Loblied auf Imperien. Sind Sie ein Imperialist?
Herfried Münkler: Nein, dazu ist der Begriff zu negativ besetzt. Aber einer nüchternen Analyse ist es nicht zuträglich, wenn man sie gleich moralisch überfrachtet. Deshalb habe ich gegen die negativen Vorurteile angeschrieben, die sich mit dem Begriff des Imperiums verbinden.
Eine Welt gleichberechtigter Staaten, schreiben Sie, sei nicht wünschenswert. Warum?
Weil es mich vor der viel gepriesenen Multipolarität gruselt. Während des Kalten Krieges hatten wir eine überschaubare Konstellation mit zwei Akteuren. Wenn sich jetzt eine Fünfergruppe etwa aus den USA, Europa, Russland, China und einer weiteren Macht herausbilden würde, dann wäre das sicherheitspolitisch viel riskanter als eine Superstruktur mit den USA an der Spitze.
...
Sie fordern also wie Ihr Universitätskollege Heinrich August Winkler eine privilegierte Partnerschaft für die Türkei?
Keineswegs. Im Falle der Türkei ist eine Vollmitgliedschaft angezeigt. Schon um ein Zusammenfließen der Konflikte im Nahen Osten und im Kaukasus zu verhindern. Der Kollege Winkler diskutiert diese Frage identitätspolitisch. Das hat man sich bis zum Ende der Achtzigerjahre leisten können. Jetzt sind die Europäer in eine Situation hineingeraten, in der eine solche Nabelschau nicht mehr möglich ist. Sie müssen eine imperiale Aufgabe übernehmen, ohne sich selbst als Imperium zu positionieren.
Sie sprechen vom Abflachen der Grenzen. Im Moment wird der westliche Wohlstandsraum mit limesartigen Befestigungen abgeschottet - etwa gegenüber Mexiko oder an der Ostgrenze Polens.
Solche Mauern sind immer Schwachstellen einer imperialen Ordnung. Imperiale Grenzen müssen fließend sein. Der Versuch einer neuen Afrikapolitik zeigt, dass man dieses Problem durchaus gesehen hat und die Situation an der europäischen Südflanke für prekär hält.
Schaut man auf Visa-Affäre oder Fremdarbeiter-Debatte, dann scheint die europäische Bevölkerung eine scharfe Grenzziehung zu fordern.
Wohlstandssicherung wird innerhalb entgrenzter Räume anders funktionieren, als sie unter den Bedingungen geschlossener Nationalstaatlichkeit funktioniert hat. Um die Schwierigkeiten, die dabei entstehen, geht es zur Zeit im deutschen Wahlkampf. Da mobilisieren sich Sehnsüchte an die Situation vor 1989/90. Wer glaubt, man könne zur alten Konstruktion des Nationalstaats zurück, der wünscht sich dann auch solche Grenzen.
Die Alternative zu einer imperialen Ordnung ist also der Nationalismus?
Das kann man wohl so sagen. Allerdings stellen sich die nationalistischen Ressentiments in unserer postheroischen Gesellschaft nicht mehr in einer aggressiven Wendung nach außen dar. Sondern in Form der exklusiven Wohlstandssicherung. Das ist eine Rückzugsposition des Nationalismus, aus der freilich auch eine erhebliche Aggressivität entstehen kann. Das konnte man bislang auf dem rechten Flügel beobachten, inzwischen auch bei Oskar Lafontaine.
Das ganze Interview ist für begrenzte Zeit hier zu finden.
Prof. Dr. Herfried Münkler hat soeben einen Buchtitel zum Thema veröffentlicht. "Imperien. Die Logik der Weltherrschaft - vom alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten". Rowohlt Berlin 05, 332 Seiten, 19,90 €
Also wieder zurück auf Anfang: Das Interview mit dem Politologen Münkler hat mir hier ein paar Aha-Momente geliefert. Ich zitiere einmal ein paar - für mich wesentliche - Passagen:
taz: Herr Münkler, in Ihrem neuen Buch singen Sie ein Loblied auf Imperien. Sind Sie ein Imperialist?
Herfried Münkler: Nein, dazu ist der Begriff zu negativ besetzt. Aber einer nüchternen Analyse ist es nicht zuträglich, wenn man sie gleich moralisch überfrachtet. Deshalb habe ich gegen die negativen Vorurteile angeschrieben, die sich mit dem Begriff des Imperiums verbinden.
Eine Welt gleichberechtigter Staaten, schreiben Sie, sei nicht wünschenswert. Warum?
Weil es mich vor der viel gepriesenen Multipolarität gruselt. Während des Kalten Krieges hatten wir eine überschaubare Konstellation mit zwei Akteuren. Wenn sich jetzt eine Fünfergruppe etwa aus den USA, Europa, Russland, China und einer weiteren Macht herausbilden würde, dann wäre das sicherheitspolitisch viel riskanter als eine Superstruktur mit den USA an der Spitze.
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Sie fordern also wie Ihr Universitätskollege Heinrich August Winkler eine privilegierte Partnerschaft für die Türkei?
Keineswegs. Im Falle der Türkei ist eine Vollmitgliedschaft angezeigt. Schon um ein Zusammenfließen der Konflikte im Nahen Osten und im Kaukasus zu verhindern. Der Kollege Winkler diskutiert diese Frage identitätspolitisch. Das hat man sich bis zum Ende der Achtzigerjahre leisten können. Jetzt sind die Europäer in eine Situation hineingeraten, in der eine solche Nabelschau nicht mehr möglich ist. Sie müssen eine imperiale Aufgabe übernehmen, ohne sich selbst als Imperium zu positionieren.
Sie sprechen vom Abflachen der Grenzen. Im Moment wird der westliche Wohlstandsraum mit limesartigen Befestigungen abgeschottet - etwa gegenüber Mexiko oder an der Ostgrenze Polens.
Solche Mauern sind immer Schwachstellen einer imperialen Ordnung. Imperiale Grenzen müssen fließend sein. Der Versuch einer neuen Afrikapolitik zeigt, dass man dieses Problem durchaus gesehen hat und die Situation an der europäischen Südflanke für prekär hält.
Schaut man auf Visa-Affäre oder Fremdarbeiter-Debatte, dann scheint die europäische Bevölkerung eine scharfe Grenzziehung zu fordern.
Wohlstandssicherung wird innerhalb entgrenzter Räume anders funktionieren, als sie unter den Bedingungen geschlossener Nationalstaatlichkeit funktioniert hat. Um die Schwierigkeiten, die dabei entstehen, geht es zur Zeit im deutschen Wahlkampf. Da mobilisieren sich Sehnsüchte an die Situation vor 1989/90. Wer glaubt, man könne zur alten Konstruktion des Nationalstaats zurück, der wünscht sich dann auch solche Grenzen.
Die Alternative zu einer imperialen Ordnung ist also der Nationalismus?
Das kann man wohl so sagen. Allerdings stellen sich die nationalistischen Ressentiments in unserer postheroischen Gesellschaft nicht mehr in einer aggressiven Wendung nach außen dar. Sondern in Form der exklusiven Wohlstandssicherung. Das ist eine Rückzugsposition des Nationalismus, aus der freilich auch eine erhebliche Aggressivität entstehen kann. Das konnte man bislang auf dem rechten Flügel beobachten, inzwischen auch bei Oskar Lafontaine.
Das ganze Interview ist für begrenzte Zeit hier zu finden.
Prof. Dr. Herfried Münkler hat soeben einen Buchtitel zum Thema veröffentlicht. "Imperien. Die Logik der Weltherrschaft - vom alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten". Rowohlt Berlin 05, 332 Seiten, 19,90 €
repeater - 4. Aug, 09:50